Artikel im Magazin von weiterdenken Heinrich Boell Stiftung Sachsen, 02. Okt. 2014
«Das System der Repräsentation führte dazu, daß die Repräsentanten allein den politischen Raum konstituierten, während das Volk, das sie abordnete und theoretisch der allein legitime Inhaber der Macht war bestenfalls vor den Türen stehen durfte.»
-Hannah Arendt-
Unterwegs im 8. Budapester Weltmeer: obdachloses Politiker-Rieseneichhorn Maxi Mókus (Macky Eichhorn) das momentan als BürgermeisterIn kandidiert, Sozialministerin Polly Poloska (ung. Bettwanze), Nomadin Rika Pap (Pap Rika) und ihre Pappfamilie, die Tauben vom Blaha Lujza Platz und die Schließgeister, die öffentliche Plätze abriegeln.
Das sind einige der Lokalhelden der beiden Künstlergruppen Pneuma Szöv. aus Budapest und Mobile Albania aus Gießen, die sich in den bisher realisierten Arbeiten innerhalb des gemeinsamen Projekts «20-Forint-Operette» weitererzählen.
Hinter den merkwürdigen Namen verstecken sich gewachsene Legenden, die konkrete sozio-politische Kontexte und translokale, kommune Potenziale in einem satirisch-liebevoll-bissigen Umgang verhandeln.
Jedes Jahr begibt sich das ungarische, heterogen wachsende Netzwerk aus Künstlern und Aktivisten, und das deutsche Performancekollektiv in das gemeinsame Schaffen eines neuen Reiseabschnitts ihres geteilten Universums.
In ihrem letzten Projekt «EXIT POLLoska» thematisierte Pneuma Szöv. so das Bettwanzenproblem in Mietshäusern und den Obdachlosenheimen im achten Budapester Bezirk. Eine Stunde Radioübertragung und gleichzeitig Show beleuchtete das winzige Tier, das im achten Stadtbezirk mit einer Population von bis zu 6 Millionen in einem Straßenzug eine Schattenregierung stellt. Auf der Straße zeichnete Pneuma Szöv. die Bettwanzen-Promenade mit bunter Kreide bis zur Bezirksverwaltung, die prompt mit einem Wasserschlauch das Problem erledigte: ein Sinnbild für sog. «lokalpolitische Lösungsstrategien», die von Aktivisten und Journalisten seit Jahren in verschiedensten Foren beschrieben und kritisiert werden. Oft kein Dialog, keine langfristigen Lösungen – sondern nur ein neues Verbot, in diesem Fall ist es verboten mit Kreide vor dem Rathaus auf den Boden zu malen. Überwachung und das «größte Kamerasystem Ungarns» (Zitat Bezirksbürgermeister Maté Kocsis)* haben das erklärte Ziel «alles zu sehen». Durch die Kunstaktionen bringt das Projekt auch die Paranoia der Politik und die Notwendigkeit eines Dialogs und einer Kritik zum Ausdruck. Mit kinderleichten Kunstaktionen rüttelt man spielerisch an den Festen dieses rigiden Systems, das Viktor Orbán nun selbst schon als «illiberale Demokratie» bezeichnet.
Die Lokallegenden und die daran geknüpften künstlerischen Formen entstehen durch das Verweilen an öffentlichen Orten, das Durchqueren des Ortes und die Reflektion über sein Potenzial und seine wunden Punkte.
Eine Heimat des Projekts ist der achte Stadtbezirk Budapests. Hier spiegelt der öffentliche Raum genau die Bewegungen und (Schließ)Mechanismen wider, die in unserer heutigen Gesellschaft gegeneinander antreten. Die Bezirksverwaltung regelt den sogenannten und vielleicht nicht nur genannten Problembezirk mit Absicherungsmaßnahmen, um die weiße, ‚normale’ Gesellschaft vor allem abzuschirmen, was anders ist, was durchs Raster fällt, Drogenabhängige, obdachlose Menschen, Alkoholiker. Anstatt Stützen zu bieten, anstatt die Obdachlosigkeit mit einer sozialen Wohnungspolitik und Drogenabhängige mit hygienischen Einrichtungen vor Hepatitis und anderen Krankheiten zu schützen, wird die Versorgung weiter abgebaut und der öffentliche Raum wird in einen staatlichen privatisiert, wo ein Sicherheitsmann die Regeln fast beliebig bestimmen darf.
Im Staatsraum ist es an vielen Stellen verboten sich «lebensgewohnheitsmäßig» zu verhalten, der UNESCO-Schutz der beliebten Budapester City wird als Mittel für die Austreibung der Wohnungslosen genutzt, um die Innenstadt bedenkenlos an Touristen und Investoren zu übergeben, Plätze und Straßen werden durch ein engmaschiges Netz von Sicherheitskameras überwacht. Hohe Zäune und unbequeme Bänke schützen vor den unbeliebten Bevölkerungsteilen, in Budapest genauso wie in London oder anderen Industrieländern, wo Armut zunehmend kriminalisiert anstatt bekämpft wird. Die Polizeistreifen kontrollieren gezielt Menschen aus den geldärmeren Randzonen.
In diesem Umfeld stellt sich für uns die Herausforderung eine öffentliche Sphäre zu schaffen. Spielräume für einen freien Austausch zu schaffen, auch zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die sich teilweise selbst segregieren (beispielsweise die Rechte von der Linken, die Radikalen von den Gemäßigten). Für uns ist Kunst hier das Mittel, um zu irritieren, zu kritisieren und im Spiel neue Möglichkeiten und Potenziale zu finden, um feste Standpunkte und eingefahrene Identitätsvorstellungen zu unterwandern. Denn da wo Leute direkt aufeinandertreffen, kann was lebendig werden und eine Grenze, ein Vorurteil vielleicht verschwinden.
Unser neues Medium hierfür ist eine Verbindung von Straßenwanderung, Performance und Radio, das in verschiedensten Sendungen als Paplament lokalpolitische Fragen aufgreift und nach neuen zivilen Foren sucht.
Dabei wird Brechts Utopie das Radio vom (Massen)-Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat umzuwandeln versucht. Lokale Nachrichtenkanäle, eigene Radioforen, eigene Zeitungen, Kreide-Fernsehen auf der Straße sind Mittel mit denen dieses Radio hantiert, um Fragen zu stellen und eine andere Berichterstattung jenseits der Massenmedien zu versuchen.
Zum zweiten Mal wandert das deutsch-ungarische Team dieses Jahr nach Leipzig und wird dort am Projekt «Federation of Urban Imagination» für drei Wochen beteiligt sein. Gegenüber dem Job-Center in Leipzig Nord auf dem Huygensplatz lassen wir gemeinsam mit Stadtentwicklern aus Belgrad, Ljubljana und Leipzig ein alternatives Job-Center entstehen. Im Rahmen der Federation of Urban Imagination verknüpft sich das deutsch-ungarische Netzwerk so mit anderen Initiativen, die ihr eigenes Umfeld auf das Potenzial eines kommunen Raums hin untersuchen und transformieren. Eine Straßenfantasie entsteht, die vielleicht kurzzeitig etwas anderes jenseits unserer eigenen Arbeitsmoral aufscheinen lässt und über verschiedenste Aktionen der Gruppen zum Dialog einlädt. Mit dabei der Bürgermeister-Kandidat Maxi Mokus aus Budapest, der unterwegs auf der Straße Stimmen der Arbeitslosen und AnwohnerInnen in seinen goldenen Einkaufswagen packen wird. Am Ende werden drei anschaubare Radioshows auf dem Platz sowie auf Radio Blau erlebbar sein.
Auch 2014 kamen Pneuma Szöv und Mobile Albania nach Sachsen. Im August und September entwickelten die Künster_innen-Kollektive in Kooperation mit dem Leipziger Bürgersender Radio BLAU ein performatives und nomadisierendes Radioformat. Unter dem Titel «Paplament auf dem Hugyensplatz – Wem gehört Leipzig?» diskutierten sie u.a. Fragen der Gentrifizierung der Stadt und der Wiederbelebung abgehängter öffentlicher Plätze.
Mehr Infos:
www.pneumaszov.org (englisch)
www.mobilealbania.de
Trailer von EXIT POLLoska mit deutschen Untertiteln:
https://vimeo.com/99810730
Link: http://www.weiterdenken.de/de/2014/10/02/das-paplament-kunst-und-oeffentliche-sphaere